Wenn der Pillencocktail zur Gefahr wird

Niedrige Geburtenziffern und eine steigende Lebenserwartung führen in Deutschland zu einer stetig alternden Bevölkerung. 2012 war bereits jeder Fünfte 65 Jahre oder älter. Mit zunehmendem Alter steigt jedoch auch die Multimorbidität, also das zeitgleiche Auftreten mehrerer chronischer und/oder akuter Erkrankungen. 62 Prozent der Deutschen in der Altersgruppe ab 65 Jahren sind von Multimorbidität betroffen.

Typische Erkrankungen sind zu hoher Blutdruck, Fettstoffwechselstörungen, Muskel- und Skeletterkrankungen. Die gutartige Prostatavergrößerung und Harninkontinenz gehören zu den millionenfach verbreiteten altersbedingten urologischen Erkrankungen. Dazu kommen oftmals psychische Störungen, Demenz und Depression. In der Folge nehmen die meisten Senioren im Durchschnitt fünf und mehr Medikamente gleichzeitig ein, im Extremfall bis zu 15 Pharmaka, was gemeinhin als Polymedikation bezeichnet wird und aufgrund gefährlicher Wechselwirkungen eine Herausforderung für Haus- und Fachärzte darstellt. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) hat den riskanten „Pillencocktail“ deshalb auf das Programm ihres 66. Kongresses vom 1. bis 4. Oktober 2014 in Düsseldorf gesetzt.

Durch Wechselwirkungen der unterschiedlichen Arzneimittel kann es zu ernsten unerwünschten Wirkungen oder zur Verminderung des therapeutischen Effekts einzelner Wirkstoffe kommen. Medikamente zu finden, die miteinander harmonieren und diese in einer dem alternden Organismus adäquaten Dosierung zu verordnen, ist eine interdisziplinäre Herausforderung. „Auch wir Urologen stehen angesichts der Polymedikation vor einem Dilemma. Denn wir müssen nun unsere Medikation wie Alpha-Blocker, Medikamente zur Behandlung des Prostatakarzinoms oder der Harninkontinenz in das therapeutische Gesamtkonzept integrieren, ohne unerwünschte oder sogar gefährliche Neben- und Wechselwirkungen auszulösen“, sagt DGU- und Kongresspräsident Prof. Dr. Jan Fichtner.

Doch nicht allein die Gabe von vielen verschiedenen Medikamenten gleichzeitig ist problematisch. „Kompliziert wird die Situation vor allem bei hochbetagten Menschen“, erläutert Dr. Wolfgang Bühmann, Urologe und Pressesprecher des Berufsverbandes der Deutschen Urologen e.V. „Viele alte Menschen sind durch ihre verminderte Kommunikationsfähigkeit nicht mehr in der Lage, ihre Symptome präzise zu schildern, was die Diagnose- und Indikationsstellung erschwert.“ Zudem nehmen nur rund die Hälfte der Patienten ihre Medikamente mit dem Maß an Zuverlässigkeit ein, das zur Erreichung der Behandlungsziele erforderlich wäre. Ein vermeidbares, rein merkantil begründetes Problem erhöht die Gefahr für die Patienten: Die Verträge der Krankenkassen mit den jeweils günstigsten Pharma-Anbietern haben zur Folge, dass der alte Patient immer wieder mit neuen Medikamenten zu tun hat, die zwar denselben Wirkstoff enthalten, aber ein neues Erscheinungsbild in Form und Farbe haben können. So entsteht vielfach ein Einnahme-Chaos, weil der Patient nicht mehr unterscheiden kann, welche der vielen Pillen er morgens, mittags oder abends nehmen soll. Gerade bei älteren Patienten ist es von daher notwendig, anhand eines aktuellen und vollständigen Medikationsplans zu prüfen, ob das geschilderte Symptom des Patienten Nebenwirkung einer bisherigen Therapie oder tatsächlich eine neue Diagnose ist, die eine weiteres Medikament erfordert. Geschieht das nicht und wird ein weiteres Mittel verordnet, entsteht oftmals eine Verschreibungskaskade, die, inklusive der Selbstmedikation mit Schmerzmitteln oder pflanzlichen Mitteln, das Risiko von pharmakodynamischen oder pharmakokinetischen Wechselwirkungen erheblich erhöht.

„Eine Polymedikation kann viele, zum Teil schwerwiegende Probleme verursachen“, weiß Pharmakologin Prof. Dr. Petra Thürmann, Direktorin des Philipp Klee-Instituts für Klinische Pharmakologie
des HELIOS Klinikums Wuppertal und Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Pharmakologie an der Universität Witten/Herdecke, die auf dem DGU-Kongress im Forum „Der ältere urologische Patient“ über das Thema Polymedikation referiert. Wechselwirkungen der Wirkstoffe können Verwirrtheitszustände auslösen, die wiederum zu Stürzen, schlimmstenfalls zu Krankenhausaufnahmen oder gar zu Todesfällen führen. Bis zu 10 Prozent aller stationären Aufnahmen beruhen auf Medikamentennebenwirkungen, wobei rund die Hälfte dieser medikamentös bedingten Hospitalisierungen durch Wechselwirkungen verursacht wird.

„Für uns Urologen spielt die ganzheitliche Einschätzung des Patienten hinsichtlich der Arzneimittelversorgung eine entscheidende Rolle, da selbst kleine Unstimmigkeiten im Medikationsprozess das therapeutische Ergebnis infrage stellen oder Schäden hervorrufen können“, sagt DGU- und Kongresspräsident Prof. Jan Fichtner. Für den Urologen gilt, beim älteren Patienten Symptome zu erkennen, die auf Polymedikation zurückzuführen sind und potenziell inadäquate Medikation, wenn möglich, von vornherein zu vermeiden. Grundlage dafür ist unter anderem die vollständige Erfassung der Medikation einschließlich der Selbstmedikation und der potenziell aufgetretenen unerwünschten Arzneimittelwirkungen. „Bei jeder neuen Verordnung sollte kritisch hinterfragt werden, ob es sinnvoll ist, ein weiteres Medikament dem ohnehin schon wirkstoffreichen Pillencocktail hinzuzufügen“, sagt Prof. Petra Thürmann. Sie plädiert dafür getreu dem Motto „Weniger ist mehr“ grundsätzlich eine kritische Haltung der Polymedikation gegenüber einzunehmen und empfiehlt, Risiko und Nutzen der Medikamente stets genau abzuwägen, nur das Wichtigste zu verschreiben und das stets im Internet-Check auf Wechselwirkungen mit den anderen Medikamenten zu prüfen. Quelle: Deutsche Gesellschaft für Urologie e.V.

Forschungsstudie: Ist Kaffee ohne Milch gesund?

Er macht wach, steigert die Leistung und steht für Genuss: Kaffee ist ein beliebter Begleiter durch den Tag. Studien belegen außerdem, dass die dunkle Bohne bei verschiedenen metabolischen Erkrankungen, wie zum Beispiel Diabetes oder Störungen des Fettstoffwechsels, positiv wirkt. Grazer Biowissenschafter konnten nun erstmals den molekularen Mechanismus hinter dem gesundheitsfördernden Effekt des Getränks bestimmen. Wichtiger Zusatz: Kaffee sollte schwarz genossen werden, denn die Zugabe von Milch schmälert seine vorteilhaften Auswirkungen. Die Forschungsergebnisse wurden in den renommierten Journalen „PLOS Genetics“ und „Cell Cycle“ publiziert.

Jener Prozess, der im Mittelpunkt des Interesses von Univ.-Prof. Dr. Frank Madeo und Dr. Christoph Ruckenstuhl vom Institut für Molekulare Biowissenschaften der Uni Graz steht, heißt Autophagie. „Es handelt sich dabei um eine Art Selbstverdauungsprogramm, das die Zellen reinigt und entgiftet. Ausgelöst wird diese zelluläre Müllabfuhr vor allem beim kontrollierten Fasten“, bestätigt Madeo. Gemeinsam mit Guido Kroemer, M.D. PhD., und Dr. Federico Pietrocola von der Universität Paris Descartes ist es den Grazer Forschern gelungen, Ernährungsweisen zu identifizieren, die die molekularen Effekte des Fastens anschalten, obwohl der Organismus isst. Kaffee ist zum Beispiel ein Autophagie-Auslöser, bestätigen die Wissenschafter: „Innerhalb von einer bis vier Stunden nach dem Konsum wurde in den Modellorganismen die zelluläre Autophagie aller untersuchter Organe – Leber, Skelett-Muskulatur und Herz – stark angekurbelt.“ Dabei waren sowohl die dekoffeinierte als auch die herkömmliche Variante des Getränks gleich effektiv: „Wir vermuten daher, dass die im Kaffee enthaltenen Polyphenole – das sind sekundäre Pflanzenstoffe –die Autophagie hervorrufen“, so Madeo und Kroemer.

Jedoch ist bei der Zugabe von Milch Vorsicht geboten: In einer parallel durchgeführten Studie konnten die Wissenschafter zeigen, dass tierische Proteine den Autophagie-Prozess hemmen können. „Eine begrenzte Aufnahme der Aminosäure Methionin – einem natürlichen Eiweißbaustein – führte im Modellorganismus Hefe zu einer beachtlichen Lebensverlängerung“, unterstreicht Ruckenstuhl. Methionin kommt verstärkt in tierischem Eiweiß vor: „Einschränkung beim Fleischkonsum sowie geringere Aufnahme von Milchprodukten und Eiern führen zu einer reduzierten Methioninaufnahme und wirken daher in verschiedensten Modellorganismen lebensverlängernd“, weiß Madeo. Er empfiehlt: „Trinken Sie deshalb Kaffee mit gutem Gewissen, aber am besten schwarz oder mit pflanzlich basierter Milch, wie Mandel- oder Kokosmilch.“ Eine allzu strenge vegane Lebensweise will der Wissenschafter aber nicht propagieren: „Es geht darum, tierische Proteine in der Ernährung zu minimieren, nicht zu eliminieren. Dies könnte gerade dann wichtig sein wenn man schon ein paar Stunden gefastet hat, nämlich nach dem Nachtschlaf.“

Die Forschungen von Frank Madeo und seinem Team sind in den universitätsweiten Forschungsschwerpunkt „Molekulare Enzymologie und Physiologie“ eingebettet.  Quelle: Karl-Franzens-Universität Graz