Studie: Einstellungen der Bevölkerung zu Flüchtlingen

Einstellungen gegenüber Flüchtlingen sind sehr differenziert / Flüchtlingsunterkünfte im eigenen Wohngebiet werden von der Mehrzahl der Anwohnerinnen und Anwohner angenommen

Die Ergebnisse der Kölner Flüchtlingsstudien des Instituts für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität zu Köln zeigen eine weitgehend positive Einstellung in der deutschen Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen. Die Forschergruppe um Professor Dr. Jürgen Friedrichs, Felix Leßke und Vera Schwarzenberg hat in drei Städten in jeweils zwei Wohngebieten mit einer Flüchtlingsunterkunft rund 2.200 Anwohner befragt: in Hamburg (Harvestehude und Bergedorf), Köln (Ostheim und Rondorf) und Mülheim an der Ruhr (Mitte und Saarn). Die Befragung verlief in zwei Wellen, wobei die erste als mündliche Interviews vom Frühjahr 2016 bis Winter 2017 stattfand. Die zweite Welle erfolgte ein Jahr nach der ersten Befragung schriftlich im Frühjahr 2018. Es zeigt sich, dass die Einstellungen auch im zeitlichen Verlauf sehr positiv sind.

So empfinden 47,3 Prozent der Befragten Mitgefühl für Flüchtlinge in Deutschland und 26,5 Prozent sehen Flüchtlinge positiv. Nur 5,1 Prozent gaben an, dass sie Flüchtlingen negativ gegenüberstünden. 10 Prozent der Befragten finden jedoch, dass zu viele Flüchtlinge aufgenommen wurden und weitere 12,1 Prozent fordern eine Zuzugskontrolle.

Nimmt man die positiv konnotierten Antworten zusammen, dann kommen die beiden eher wohlhabenden Gebiete Harvestehude und Rondorf in den Befragungswellen jeweils auf 80 Prozent und 84 Prozent positive Äußerungen. Mülheim Mitte und Ostheim hingegen, die beiden weniger wohlhabenden Gebiete, kommen auf 62 Prozent und 67 Prozent. Unterschiede zwischen den Wohngebieten mit unterschiedlichem sozialen Status sind also zu erkennen. Der soziale Status wurde unter anderem über das Bildungsniveau gemessen.

Eine Reihe weiterer Fragen richtete sich auf die Einstellungen zu der Flüchtlingsunterkunft im eigenen Wohngebiet. „Wir nahmen zunächst an, dass man zwar Flüchtlingen gegenüber generell positiv eingestellt sein könnte, vor der eigenen Haustür aber dennoch keine Flüchtlingsunterkunft akzeptieren würde. Das trifft nicht zu“, sagt Professor Dr. Jürgen Friedrichs, der die Studie leitet. Insgesamt gab es (bei Mehrfachantworten) 72 Prozent positive Antworten, nur 6 Prozent lehnten die Unterkunft ab. In der zweiten Welle sind diese positiven Tendenzen sogar noch stärker ausgeprägt. Insgesamt liegt hier die Quote für positive Antworten bei 94,9 Prozent. Dies spricht dafür, dass sich die ohnehin große Akzeptanz der Flüchtlingsunterkünfte im Wohngebiet nach dem Einzug der Flüchtlinge im Laufe der Zeit durch Gewöhnungseffekte und positive Erfahrungen verstärkt hat oder Befürchtungen nicht eingetreten sind.

Ein wichtiges Ereignis für die Einstellung gegenüber Flüchtlingen waren die Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 in Köln und anderen Städten. Auf die Frage „Haben die Ereignisse von Silvester 2015/16 am Kölner Hauptbahnhof Ihre Einstellung zu Flüchtlingen verändert?“ antworteten 32, 1 Prozent mit „Ja“, weitere 8,8 Prozent mit „vorübergehend“ und 59 Prozent mit „Nein“.

Das Team der Uni Köln zeigt in der Studie zudem eine Entwicklung von Ängsten und Befürchtungen auf. Auch der Einfluss von unmittelbaren sozialen Kontakten zu Flüchtlingen wurde abgefragt und untersucht. Eine detaillierte Aufschlüsselung der Ergebnisse und weiterführende Informationen zur Studie finden Sie unter diesem Link:
https://www.portal.uni-koeln.de/index.php?id=13893

Studie über Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit

Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit 2 (EFA 2) – Zweite Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) liefert Daten und Erkenntnisse zur weiteren Entwicklung des zivilgesellschaftlichen Einsatzes für Geflüchtete. Politik und Institutionen werden aufgefordert, die Chancen und die Weiterentwicklung des neuentstandenen Engagements nachhaltig zu fördern

Die Studie EFA 2 bietet wichtige Rückschlüsse hinsichtlich der Dynamiken ehrenamtlicher Flüchtlingsarbeit und der Zusammensetzung der Gruppe der Engagierten im einzigartigen Herbst 2015. Die Autoren Dr. Serhat Karakayali der Humboldt-Universität und Dr. J. Olaf Kleist der Universität Osnabrück fordern Politik und Institutionen dazu auf, die Chancen und die Weiterentwicklung des neuentstandenen zivilgesellschaftlichen Engagements nachhaltig zu fördern.

Im Anschluss an den „Sommer des Willkommens“ des letzten Jahres, der durch ein nie zuvor gesehenes Engagement für Geflüchtete gekennzeichnet war, wurden im Rahmen der zweiten bundesweiten EFA-Studie 2.291 Personen online befragt, die sich ehrenamtlich in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren. Die Ergebnisse dieser zweiten nicht repräsentativen Stichprobe geben in Verbindung mit denen der ersten Studie EFA 1 (2014) wichtige Einblicke in die Dynamiken, Entwicklungen und strukturellen Veränderungen der Bewegung der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland. Zwei Drittel der im vergangenen November und Dezember Befragten begannen ihr Engagement im Jahr 2015.

Angesichts der Erfordernisse des Jahres 2015 entwickelte sich das ehrenamtliche Engagement für Geflüchtete von einer Integrationshilfe vermehrt zu einer niedrigschwelligen Orientierungs- und Ankunftshilfe. Trotzdem ist sich die Mehrheit der Ehrenamtlichen einig, dass Deutschland durch die verstärkte Ankunft von Geflüchteten im Herbst 2015 nicht überfordert gewesen sei. Verbreiteter Konsens herrscht auch bezüglich ihres gesellschaftspolitischen Anspruchs: Die überwiegende Mehrheit der Befragten möchte mit ihrem Einsatz die Gesellschaft zumindest im Kleinen verändern (97 Prozent) und ein Zeichen gegen Rassismus setzen (90 Prozent).

Bemerkenswertes Ergebnis der Befragung ist auch die geschlechtsspezifische Zusammensetzung der Gruppe: Drei Viertel aller Ehrenamtlichen sind nach wie vor Frauen, bei unter 50-jährigen sogar über 80 Prozent. Gleichzeitig lässt sich konstatieren, dass 2015 besonders in Bezug auf das Alter und den Erwerbsstatus eine „Normalisierung“ der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in die Mitte der Gesellschaft hinein stattfand.

„Viele Menschen engagierten sich im Sommer 2015 zum ersten Mal für Flüchtlinge. Interessant ist, dass auch diese neuen Ehrenamtlichen, die im Vergleich zu den länger Aktiven weniger weitreichende und liberale Vorstellungen zu Migration und Flucht haben, finden, dass Deutschland keineswegs mit der Situation überfordert ist“, so Studienleiter Dr. Serhat Karakayali.

Hinsichtlich der Engagementstruktur bemerkt Studienautor Dr. J. Olaf Kleist: „Deutlich werden in der aktuellen Studie der nochmals zugenommene spontane und proaktive Charakter der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit und das hohe Eigenengagement. Dennoch nahmen auch staatliche und kommunale Einrichtungen als Organisationsform zu.“

Die Autoren fordern eine stärkere institutionelle Öffnung zur Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Die Ergebnisse von EFA 2 unterstreichen die wichtige Rolle der Ehrenamtlichen bei der Integration der Geflüchteten. Entsprechender politischer und öffentlicher Rückhalt sollte dieses große zivilgesellschaftliche Engagement unterstützen. Dies betrifft vor allem den Ausbau finanzieller Förderung der Initiativen und Projekte, um damit die Chancen des ‚Sommers des Willkommens‘ nachhaltig zu nutzen. Mit Blick auf zukünftige Forschungen in diesem Bereich erscheint es wichtig, Studien zur ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit verstärkt im europäischen und weltweiten Vergleich perspektivisch zu erweitern.

Die komplette Studie ist unter http://www.bim.hu-berlin.de http://www.bim.hu-berlin.de zu beziehen.

Weitere Informationen
http://www.bim.hu-berlin.de

Flüchtlingsmassen als historisches Phänomen

Das Imre Kertész Kolleg der Universität Jena veranstaltet am 9./10. Juni seine Jahrestagung

Kein Thema prägte die öffentliche Debatte der vergangenen zwei Jahre mehr als die hohe Zahl von Flüchtlingen, die in Europa Schutz vor Krieg und Krisen suchen. Das Imre Kertész Kolleg der Universität Jena greift dieses Thema nun auf und stellt die Situation der Flüchtlinge mit Blick auf das östliche Europa im 20. Jahrhundert in einen historischen Zusammenhang.

Am 9. und 10. Juni versammeln sich Wissenschaftler aus dem In- und Ausland in Jena zur Jahrestagung des Kollegs, die unter dem Titel steht: „People(s) on the Move: Refugees and Immigration Regimes in 20th-Century Central and Eastern Europe“. Im Fokus der wissenschaftlichen Vorträge und Diskussionen steht dabei die Rolle des östlichen Europas mit Migration, die deutlich komplexer ist, als gegenwärtig wahrgenommen wird.

„Zwangsmigration, Auswanderung und politisches Exil wurden zwar von Historikern untersucht, wenig erforscht wurden jedoch die Erfahrungen von Einwanderung und der Aufnahme großer Flüchtlingszahlen“, sagt Prof. Dr. Joachim von Puttkamer, der Direktor des Kertész-Kollegs. Gerade die Wahrnehmung von zahlreichen Flüchtlingen als Bedrohung nationaler Homogenität mache eine kritische Auseinandersetzung mit Blick auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts umso wichtiger, betont der Jenaer Historiker.

In den einzelnen Sektionen der Jahrestagung geht es u. a. um Flüchtlinge in der Zwischenkriegszeit nach dem Ersten Weltkrieg, um die „displaced Persons“ nach dem Zweiten Weltkrieg und um politische Emigration nach dem Ungarn-Aufstand 1956. Zum Abschluss der zweitägigen Tagung debattieren Stefan Troebst, Maciej Duszczyk, Attila Pók und Marci Shore unter Leitung von Prof. Dr. Joachim von Puttkamer über das Thema „Eastern Europe and the Refugees: Historical References in current Debates“.

Die Jahrestagung des Imre Kertész Kollegs am 9. und 10. Juni ist öffentlich, interessierte Gäste sind herzlich willkommen. Tagungssprache ist Englisch. Getagt wird am 9. Juni in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (Bibliotheksplatz 2) und am 10. Juni in den Rosensälen der Universität (Fürstengraben 27), der Eintritt ist frei.

Das Programm im Internet: http://www.imre-kertesz-kolleg.uni-jena.de

Friedensgutachten 2016 – Fluchtursachen bekämpfen

Friedensforscher fordern: Fluchtursachen bekämpfen – Flüchtlingspolitik solidarisch gestalten

Die Herausgeberinnen und Herausgeber des Friedensgutachten 2016 fordern von der deutschen Politik, Verantwortung zu übernehmen: bei der Bekämpfung der Fluchtursachen und bei der Gestaltung einer solidarischen Flüchtlingspolitik

60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Weit über eine Million fanden seit 2015 Zuflucht in der EU, die meisten in Deutschland. Die Mehrzahl der Deutschen ist dafür, Kriegsflüchtlinge und Verfolgte aufzunehmen. Ebenso dringlich ist es, an der Beseitigung der Fluchtursachen mitzuwirken. Wir fordern, Verantwortung zu übernehmen: bei der Bekämpfung der Fluchtursachen und bei der Gestaltung einer solidarischen Flüchtlingspolitik.

Teufelskreis aus Staatsversagen und Gewaltkonflikten

Kriege haben Menschen schon immer in die Flucht getrieben. Dahinter steht heute oft Staatsversagen als Ursache. Wenn autoritäre Regime sich nur mit Repression an der Macht halten oder Staatsapparate keine Leistungen für das Gemeinwesen erbringen, münden soziale, politische und regionale Konflikte leicht in Gewalt und beschleunigen den Zerfall staatlicher Strukturen.

Wir warnen davor, die Möglichkeiten einer Einwirkung von außen zu überschätzen. Die Regimewechselkriege in Afghanistan, Irak und Libyen und verfehlte Befriedungsstrategien sollten eine Lehre sein. Dem Sturz der Potentaten folgten gesellschaftliche Fragmentierung und der Zusammenbruch staatlicher Strukturen.

Wir brauchen eine gerechte Welthandelsordnung

Die Früchte der Globalisierung sind höchst ungleich verteilt. Eine ungerechte Welthandelsordnung kann dazu beitragen, die Akzeptanz politischer Institutionen zu untergraben. Wir brauchen nicht mehr freien Handel, sondern faire Handelsbeziehungen. Die internationale Öffnung der Wirtschaft in Syrien verschaffte den Privilegierten Millionengewinne. Aber in vielen ländlichen Gebieten verarmten die Bewohner. Auf Proteste reagierte das Regime mit blanker Repression. Das führte direkt in den Bürgerkrieg. Wir prangern die Kumpanei der Industrieländer mit den raffgierigen Eliten autokratischer Länder an.

Waffenlieferungen in Krisengebiete heizen Konflikte an

Waffenlieferungen in Krisengebiete verhindern keine innerstaatlichen Kriege. Saudi-Arabien ist kein regionaler Stabilitätsanker, sondern interveniert aus eigenem Machtinteresse in die Bürgerkriege in Syrien und im Jemen und erschwert damit politische Lösungen. Wir verlangen, Rüstungsexporte an die Golfmonarchie zu stoppen und unterstützen die Forderung des Europäischen Parlaments nach einem Waffenembargo.

Über politische Willenserklärungen hinaus brauchen wir ein Rüstungsexportgesetz, das die Neuerungen der Kleinwaffengrundsätze von 2015 verbindlich regelt: Wir fordern ein Verbot der Vergabe von Lizenzen für Kleinwaffenproduktionen an Drittstaaten und eine zuverlässige Endverbleibskontrolle vor Ort. Rüstungsexporten an Staaten, die illegal Waffen an staatliche oder nicht-staatliche Akteure in Gewaltkonflikten weitergeben, ist die Genehmigung ausnahmslos zu versagen.

Auch die Bewaffnung nicht-staatlicher Gruppen ist problematisch. Die Unterstützung der kurdischen Peschmerga mit Klein- und Leichtwaffen, ist nicht länger die Ausnahme in einer akuten Notlage. Sie ist zur Regel geworden. Unterschätzt wurden dabei das Proliferationsrisiko und die Verschärfung von Machtkämpfen im Irak. Wir fordern, vorerst keine Waffen mehr an die Peschmerga zu liefern.

Den Islamischen Staat besiegt man nicht militärisch

Eine besondere Herausforderung ist die Bekämpfung des Islamischen Staats. Er ist ein extremistisches Staatsprojekt, dessen Zukunft sich politisch entscheidet. Wenn es ihm gelingt, sich unter den sunnitischen Arabern eine soziale Basis und politische Anerkennung zu verschaffen, wird er überleben. Andernfalls wird er höchstens als Bande fortexistieren.

Wir kritisieren die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg gegen den IS in Syrien. Aus den Anschlägen von Paris am 13. November 2015 lässt sich kein Recht auf Selbstverteidigung gemäß UN-Charta ableiten. Wir plädieren entschieden dafür, sich der Aufweichung des Gewaltverbots zu widersetzen und sich um einen möglichst inklusiven Verhandlungsprozess zu bemühen.

Die Teilnahme an „Koalitionen der Willigen“ lehnen wir generell ab. Stattdessen treten wir dafür ein, das robuste Peacekeeping der UNO zu stärken, um Massenverbrechen zu verhindern. Dazu sollte Deutschland finanziell, technologisch und personell einen bedeutend größeren Beitrag leisten. Mittelfristig sind solche Friedensmissionen unter das Kommando der UNO zu stellen und eigene militärische UN-Einheiten aufzubauen. Als viertgrößter Beitragszahler sollte sich Deutschland dafür stark machen.

Präventionsarbeit gegen europäischen Dschihadismus

Nach den Anschlägen von Paris verdient Frankreich unsere Solidarität. Laut EU-Vertrag von Lissabon sind die Mitgliedstaaten gehalten, es auf seinem Hoheitsgebiet zu unterstützen. Gegen die Gefahr dschihadistisch motivierten Terrors ist Präventionsarbeit gegen die verführerischen Identifikationsangebote des IS dringend nötig. In erster Linie geht es dabei um hinreichend finanzierte Programme zur sozialen Integration und politischen Teilhabe. Ökonomisch und gesellschaftlich ausgegrenzte und in ihrem Selbstbewusstsein verunsicherte junge Menschen müssen ein Gefühl gleichberechtigter Zugehörigkeit in Europa entwickeln können. Entfremdung und Hass treiben sie dem IS in die Arme.

Funktionierende Staatlichkeit gegen das apokalyptische Heilsversprechen des IS

Gegen die fatale Strahlkraft des IS in der Region könnten Partizipation und Reformen helfen, die soziale Standards absichern statt abbauen. Damit lässt sich die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaften gegen trügerische dschihadistische Heilslehren stärken. Auch darum ist die kurzsichtige Partnerschaft mit den reaktionären Autokratien Saudi-Arabiens und Katars zu revidieren. Denn von hier bezieht der IS fundamentalistische Ideen, Geld und Kämpfer.

Vorrang für Seenotrettung

In Libyen hat ein Ableger des IS Fuß gefasst. Er profitiert vom Fehlen eines funktionstüchtigen Staatswesens. Zahlreiche Milizen und Stämme kämpfen gegeneinander und um die Kontrolle der Ressourcen. Diskutiert wird ein militärisches Eingreifen in dem nordafrikanischen Land. Wir hielten das für einen Fehler. Eine Intervention, um den IS zu vertreiben, riskiert einen Kollaps der ohnehin prekären Wirtschaft und würde die Sicherheit weiter unterminieren. Schon jetzt ist die unsichere Küste Libyens ein ideales Terrain für Schlepperkriminalität.

Angesichts neuer Fluchtbewegungen ist die Versuchung groß, die EU-Marinemission Sophia auf die libyschen Küstengewässer oder sogar auf das Festland auszuweiten. Aber in Libyen gibt es nur äußerst fragile Regierungsstrukturen, die Verhandlungen über Migration erlauben könnten. Wir plädieren dafür, die Marine vorrangig für die Rettung aus Seenot einzusetzen. Vorbild sollte die italienische Mission Mare Nostrum sein, mit der Italien zwischen Oktober 2013 und Oktober 2014 über 150.000 Menschen gerettet hat.

Tunesien verdient mehr Hilfe

Tunesien benötigt Unterstützung, um für Sicherheit im eigenen Lande zu sorgen und den Zulauf von Foreign Fighters für den IS zu beenden. Eine Reform des Sicherheitsapparats hat vor allem für dessen zivile Kontrolle und klare Befehlsstrukturen zu sorgen. Der Preis für die Terrorismusabwehr darf nicht die Einschränkung demokratischer Rechte sein. Wir empfehlen der Bundesregierung, die Mittel für die Transformationspartnerschaft mit Tunesien zu verdreifachen, sie gezielt zu vergeben und an Bedingungen zu knüpfen: Rechtsstaatlichkeit, Partizipation und Transparenz sind die Voraussetzungen dafür, dass die Sicherheitsapparate das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen statt als Bedrohung zu wirken.

Es gibt keine sicheren Zonen in Afghanistan

In Afghanistan ist der Versuch gescheitert, nach der Militärintervention einen legitimen und funktionsfähigen Staat aufzubauen. Heute werden ausgedehnte Gebiete von den 2001 besiegten Taliban kontrolliert. Warlords beherrschen Schlüsselstellungen in Staat und Wirtschaft, staatsnahe Paramilitärs und unkontrollierte Milizen drangsalieren die Bevölkerung. In dieser Lage grenzt das Vorhaben Deutschlands, afghanische Flüchtlinge in angeblich sichere Zonen in Afghanistan abzuschieben, an Zynismus. Wir verlangen, Kriegsflüchtlingen aus Afghanistan weiterhin Schutz und Aufenthalt in Deutschland zu gewähren.

Mehr Ressourcen für zivile Strategien und humanitäre Hilfe

Die im September 2015 verabschiedeten langfristigen Ziele nachhaltiger Entwicklung (Sustainable Development Goals) enthalten einen friedenspolitischen Zielkatalog. Den gilt es nun umzusetzen. Frieden und Entwicklung in Regionen mit hohem Gewaltniveau erfordern inklusive, rechenschaftspflichtige und effektive Institutionen. Deutschland sollte dabei helfen und die dafür benötigten Mittel aufstocken. Noch immer liegt die deutsche Entwicklungshilfe weit unter der Zielmarke von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens.

Die in der Türkei, im Libanon und in Jordanien aktiven humanitären Organisationen brauchen dringend mehr Ressourcen, um Flüchtlinge in ihrer Herkunftsregion versorgen zu können. Viele Staaten haben in der Vergangenheit ihre Hilfszusagen nicht eingehalten. Deutschland gehört nicht zu den säumigen Gebern. Umso glaubwürdiger kann sich die Bundesregierung dafür einsetzen, die Kapazitäten der UNNothilfe nachhaltig zu erweitern.

Das Flüchtlingsdrama hat das Interesse des Auswärtigen Amtes belebt, den Aktionsplan Zivile Krisenprävention fortzuentwickeln. Ziel ist die Formulierung eines Leitliniendokuments. Wir begrüßen das und erwarten davon ein höheres Maß an Verbindlichkeit. Allerdings halten wir die Aufstockung der Mittel von 95 auf 248 Millionen Euro für unzureichend. Die für 2016 geplanten Ausgaben für militärische Beschaffung betragen das 18-fache. Steuermittel zur Bekämpfung von Fluchtursachen einzusetzen scheint uns eine nachhaltigere Investition in den Frieden zu sein als die Modernisierung von Kriegsgerät.

Wo sich die Bundeswehr an militärischen und zivilen Interventionen beteiligt, ist deren Evaluierung unumgänglich. Wir fordern das seit Längerem. Sie muss aber unabhängig und ergebnisoffen sein. Erfolgskriterium ist das Ziel, Gewalt zu minimieren und Frieden nachhaltig zu sichern.

Für ein solidarisches Europa

Was zumeist Flüchtlingskrise heißt, ist keine Krise der Flüchtlinge, sondern eine Krise der Politik im Umgang mit dem Fluchtgeschehen. Sie ist zu einer Zerreißprobe der EU geworden. Da die Europäer die Aufnahme und Integration der zahlreichen Schutzsuchenden nur gemeinsam leisten können, müssen sie die Kosten dafür auch gemeinsam finanzieren. Wir unterstützen die Idee eines EU-Fonds, der solche Kommunen unterstützt, die Flüchtlinge aufnehmen und spezielle Integrationsprogramme umsetzen wollen. Auch Paketlösungen können helfen, nationale Alleingänge zu überwinden. Im Tausch gegen eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge schlagen wir vor, in Ländern mit hoher Jugendarbeitslosigkeit spezielle Investitionsprogramme aufzulegen und dafür höhere Haushaltsdefizite in Kauf zu nehmen.

Problematisch ist der Versuch der EU, Probleme outzusourcen. Eine Variante ist ihr Abkommen mit der Türkei. Sein Kern ist die Rücknahme von Flüchtlingen im Tausch gegen eine Beteiligung der EU an den Kosten für deren Versorgung, Visumerleichterung für türkische Staatsbürger und eine Rückkehr zur EU-Beitrittsperspektive. Wir bewerten diesen Deal unterschiedlich. Die Mehrheit teilt die schweren humanitären und rechtlichen Bedenken, die der Hohe Flüchtlingskommissar der UNO (UNHCR) und Menschenrechtsorganisationen erhoben haben. Sie kritisiert die Delegation der Verantwortung als Begünstigung eines staatlich organisierten Menschenhandels. Die Minderheit bewertet es positiv, dass die EU versucht zu gemeinsamem Handeln zurückzufinden und hofft, es könne gelingen, irreguläre Einwanderung zu verringern. Das Recht, Einwanderung zu steuern, gehört zum Kern demokratischer Selbstbestimmung. Es zu ignorieren, gefährdet die Demokratien und den europäischen Konsens.

Konstruktionsfehler im europäischen Projekt haben dazu beigetragen, dass Gewaltkonflikte und Elend in unserer Nachbarregion seinen Zusammenhalt gefährden. Jahrelang hat es in der EU an Solidarität mit dem leistungsschwächeren Süden gefehlt. Solange die Flüchtlinge in Italien oder Griechenland verblieben, bestanden die Länder des Nordens auf den für sie komfortablen Dublin-Regelungen und widersetzten sich einer solidarischen Verteilung. Heute weigern sich die meisten Mitgliedstaaten, Souveränitätsrechte abzugeben und die gemeinsam beschlossenen Regeln einzuhalten.

Wir begrüßen die Initiative der Bundesregierung, in der EU einen „Solidarpakt für Flüchtlinge“ auf den Weg zu bringen. Sie kommt reichlich spät – aber besser als gar nicht. Dringlich ist ein verlässlicher Schlüssel zur Verteilung der Flüchtlinge in Europa. Er muss sanktionierbar sein, um die normative Basis der EU zu retten. Kooperationsunwillige EU-Mitglieder könnte man mit dem Zurückhalten von Transferleistungen oder mit materiellen Anreizen umzustimmen versuchen.

Statt der Rückkehr zur nationalen Abschottung brauchen wir europäische Behörden, die den geordneten Grenzübertritt von Einreisenden und Schutzsuchenden gewährleisten und dafür sorgen, dass Asylanträge gestellt werden können. Dies kann an den EU-Außengrenzen geschehen oder in EUMitgliedstaaten, auf die Asylsuchende vorläufig verteilt wurden. Wir brauchen eine Debatte über die Zukunft des Asylsystems, um Fragen wie diese sachgerecht zu entscheiden.

Einwanderung und Integration gemeinsam gestalten

In Deutschland haben die Regierenden zu lange die Realität geleugnet, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir begrüßen die Vorlage eines Integrationsgesetzes. Allerdings kritisieren wir dessen Unterton. Nicht die fehlende Integrationsbereitschaft Asylsuchender ist das Hauptproblem. Vielmehr ist das Angebot an Integrationskursen in Deutschland bisher völlig unzureichend. Länder und Kommunen benötigen deutlich mehr Mittel, vor allem für Sprachkurse, Schulbildung, Ausbildung in den Unternehmen sowie erschwinglichen Wohnraum. Wir kritisieren, dass Flüchtlinge erst an Sprachkursen teilnehmen dürfen, wenn ihr Asylverfahren abgeschlossen ist, und halten die Wohnsitzauflage für anerkannte Flüchtlinge für falsch. Der erzwungene Verbleib in strukturschwachen Regionen, wo die Aussichten auf Arbeit gering sind, behindert Integration. Wenn sie gelingen soll, ist auch die Sozialpolitik gefordert: Wer Solidarität mit den hierher Geflüchteten und Eingewanderten will, darf die Augen nicht vor prekären Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland verschließen. Verdrängungsängste leisten der Ausbreitung von Fremdenfeindlichkeit Vorschub.

Wir fordern die Vorlage eines Einwanderungsgesetzes noch in dieser Legislaturperiode. Die Differenzierung zwischen Flucht und Einwanderung ist politisch und juristisch sinnvoll. Aber eine Diffamierung der Menschen, die bittere Not aus ihrer Heimat treibt, ist inakzeptabel. Ob man durch eine Bombe stirbt oder verhungert: Es geht ums Überleben. Mit dem überfälligen Gesetz muss Einwanderung legalisiert und gesteuert werden. So lässt sich vermeiden, dass Migranten mangels Alternativen ins Asylverfahren gedrängt werden – dort haben sie keine Chancen auf Anerkennung. Um die Migrations- und Integrationspolitik insgesamt aufzuwerten, unterstützen wir die Forderung nach einem eigenen Bundesministerium für die große Querschnittsaufgabe Migration und Integration. Vieles spricht dafür, dass Flucht und Migration auf Jahrzehnte friedenspolitische Herausforderungen ersten Ranges bleiben werden. Vergessen wir nicht, dass die „Flüchtlingskrise“ für Millionen vor allem eine humanitäre Katastrophe darstellt.

Warum Flüchtlinge schnell Jobs finden müssen und wie das am besten gelingen kann

Sind Flüchtlinge nur ein Kostenfaktor? „Nein“, sagt der Bamberger Ökonom Herbert Brücker. Deutschland kann profitieren, aber dazu muss das Land viel investieren und neue Wege in der Asylpolitik gehen – und das am besten sofort. Das neue Integrationsgesetz verbessere die aktuelle Situation nicht einschneidend, meint der Wissenschaftler.

Prof. Dr. Herbert Brücker, Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Integration der Europäischen Arbeitsmärkte an der Universität Bamberg, beschäftigt sich seit Jahren mit Migration und Arbeitsmarktpolitik. Er schätzt, dass die aktuell nach Deutschland Geflüchteten langsamer Jobs finden als andere Migrantengruppen: „Unsere Forschung zeigt, dass in der Vergangenheit nach fünf Jahren etwa 50 Prozent der Flüchtlinge erwerbstätig waren, nach zehn Jahren 60 Prozent und nach 15 Jahren so um die 70 Prozent.“

Zu den aktuellen Flüchtlingsgruppen gibt es noch keine Zahlen, doch Brücker, der auch am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg tätig ist, führt gerade mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und dem Sozio-oekonomischen Panel des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin eine groß angelegte Studie durch. Die ersten Ergebnisse soll es zum Jahresende geben.

Grund für die deutlich schlechteren Arbeitsmarktchancen der aktuellen Kriegsflüchtlinge ist in den Augen des Bamberger Professors vor allem ein altbekanntes Problem: Migranten könnten schneller arbeiten, aber das war lange nicht das Ziel der Asylpolitik in Deutschland. „Man hat allein auf Abschreckung gesetzt.“ Um nun die Sozialkassen zu entlasten hilft laut Brücker nur eines: schnellere Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt. Doch dafür fehlen Strukturen und Ressourcen. Auch durch das am 25. Mai auf den Weg gebrachte Integrationsgesetz der Bundesregierung sieht der Wissenschaftler keine einschneidende Verbesserung der aktuellen Situation.

Beispiel Sprach- und Integrationskurse: Für Asylbewerber, die Leistungen beziehen, sollen zwar nun schon vor Ende ihres Asylverfahrens Integrationskurse verpflichtend sein, wenn sie von einer Behörde dazu aufgefordert werden. Doch viele bekommen auch künftig erst mit der Anerkennung einen Integrations- und Sprachkurs. Für Brücker ist das ein Graus: „Da wird immer sehr viel Zeit verschenkt. Wir müssen da mehr und vor allen Dingen früher in die Menschen investieren.“

Beispiel Wohnsitzauflage: Um gute Jobchancen zu haben, müssen anerkannte Flüchtlinge dorthin gehen, wo es Arbeit gibt. Noch können sie das, doch mit dem geplanten Integrationsgesetz soll eine Wohnsitzauflage eingeführt werden. Das lehnt Herbert Brücker ab: „Ich halte das für völlig absurd! Es ist grundsätzlich sinnvoll, dass sich Menschen dort niederlassen, wo ihre Arbeitsmarktperspektiven günstig sind. Und das ist in städtischen Räumen eher der Fall.“

Was jetzt für die Arbeitsmarktintegration notwendig ist: Der Fünf-Punkte-Plan

Der Fünf-Punkte-Plan des Volkswirtschaftlers: ein schnellerer Erwerb von Sprache und Kultur, sofortige Integration der Kinder und Jugendlichen in das deutsche Bildungssystem, bessere Möglichkeiten zur Erfassung von beruflichen Kompetenzen, eine zielgerichtetere Arbeitsvermittlung und vor allem – eine schnellere Bearbeitung der Asylanträge. „Man muss zuerst Rechtssicherheit schaffen. Dazu gehört die Beschleunigung von Asylverfahren“, sagt Herbert Brücker. Diese fünf Maßnahmen kosten viele Milliarden Euro. „Aber das ist nach allem, was wir wissen, sehr, sehr gut angelegt“, so der Arbeitsmarkt-Experte. Quelle: Universität Bamberg

Drei von vier Unternehmen engagieren sich für Flüchtlinge

Drei von vier Unternehmen in Deutschland übernehmen gesellschaftliche Verantwortung in der Flüchtlingshilfe. Neben der Soforthilfe durch Spenden, schaffen sie vor allem mit Maßnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt Perspektiven für Flüchtlinge. Jeder zweite Betrieb bietet Ausbildungsmöglichkeiten für junge und ungelernte Migranten sowie reguläre Arbeitsplätze an. Jeder dritte hilft bei der Eingliederung in die Arbeitswelt durch berufsbegleitende Fort- und Weiterbildungen sowie Berufsinformationen. Dies zeigt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.

Diejenigen Unternehmen, die Flüchtlinge bei der Arbeitsmarktintegration unterstützen, stellen mehrheitlich (62 Prozent) zusätzliche Praktikumsplätze zur Verfügung. Etliche Betriebe sehen in der Zuwanderung von Flüchtlingen mittelfristig Chancen für den deutschen Arbeitsmarkt. Gut zwei Fünftel erwarten positive direkte Effekte. Sie glauben, dass es leichter werde, besonders motivierte und lernbereite Mitarbeiter zu finden, wenn Flüchtlinge dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stünden. Zudem hofft die Hälfte der Unternehmen auf einen Zuwachs an interkultureller Kompetenz der Mitarbeiter, da sich in kulturell gemischten Teams das Potenzial und die Kreativität der Mitglieder besser entfalten könne.

Birgit Riess, Direktorin des Programms Unternehmen in der Gesellschaft in der Bertelsmann Stiftung: „Unternehmen kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es darum geht, Flüchtlingen eine Perspektive zu geben. Betriebe packen mit an, wenn akut Hilfe gebraucht wird und ermöglichen durch Arbeit und Ausbildung die langfristige Integration.“

Unternehmen in Deutschland sehen sich, wie die Studie weiterhin zeigt, nicht nur bei der Bewältigung aktueller Herausforderungen in der gesellschaftlichen Verantwortung. Eine Mehrheit der befragten Unternehmen setzt sich auch für die Attraktivität der Heimatregion ein. Ebenso wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert, indem über 90 Prozent der Unternehmen Elternzeit oder Teilzeitarbeit anbieten. Weiterhin leisten Unternehmen einen wertvollen Beitrag in den Bereichen Gesundheitsförderung der Mitarbeiter, Integration und Diversität sowie im Bildungsbereich, etwa durch gezielte Förderung der akademischen Bildung. Quelle: Bertelsmann Stiftung

Zusatzinformationen:

Die Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft beleuchtet im Auftrag der Bertelsmann Stiftung die Rolle des Unternehmens in der Gesellschaft aus einer ganzheitlichen Perspektive. Die Funktion von Unternehmen als Produzent und Dienstleister, Arbeitgeber, Ausbilder, Steuer- und Sozialbeitragszahler wird durch die Studie von 2016 um die Rolle als Kooperationspartner zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen erweitert. Sie bietet Erklärungsansätze wie durch Transparenz und Professionalisierung des Engagements diese Rolle von Unternehmen besser ausgestaltet werden kann.

Flüchtlinge auf dem Weg an die Hochschule unterstützen

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) engagieren sich für eine schnelle Integration und unterstützen daher junge Talente, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, auf dem Weg in ein Studium: Sie können künftig kostenfrei einen Studierfähigkeitstest ablegen und ihre Bewerbungen für Studienplätze einreichen. Die Gebühren für den Test für ausländische Studierende (TestAS) und für das Prüfverfahren durch die Servicestelle uni-assist werden vom DAAD aus Mitteln des BMBF übernommen. Durch die Verfahren wird geklärt, ob der jeweilige Flüchtling eine Chance auf Hochschulzulassung hat.

„Unter den Geflüchteten sind viele, die die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Studium mitbringen. Wer das Zeug dazu hat, soll bei uns studieren können. Deshalb ebnen wir den Zugang zu den Hochschulen und übernehmen die Gebühren für Prüfverfahren und Tests, die Flüchtlinge absolvieren müssen, damit ihre Sprach- und Fachkenntnisse sowie ihre Zeugnisse eingestuft werden können. Das ist Teil des Maßnahmenpaketes, mit dem das BMBF den Hochschulen bei der Integration von Flüchtlingen in ein Studium hilft“, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka.

DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel: „Die deutschen Hochschulen können für die Integration von Flüchtlingen eine wichtige Rolle übernehmen. Junge, talentierte Menschen erhalten durch ein Studium in Deutschland eine neue Perspektive. Es ist unsere Aufgabe, sie dabei zu unterstützen. Flüchtlinge, die ein Studium aufnehmen möchten, bringen unterschiedliche Sprachkenntnisse und Kompetenzen mit. Genau zu ermitteln, welche das sind, ob sie zu einem Studium befähigen und wo Unterstützung nötig ist, erleichtert die Integration in reguläre Studienprogramme und trägt zum Studienerfolg bei.“

Dies geschieht durch eine zielgerichtete Erstberatung und den Einsatz diagnostischer Testverfahren. Die Arbeits- und Servicestelle für internationale Studienbewerbungen (uni-assist e.V.) prüft für ihre rund 170 Mitgliedshochschulen, ob internationale Zeugnisse gleichwertig zu deutschen Schul- oder Studienabschlüssen sind und grundsätzlich zum Studium in Deutschland berechtigen. Wenn die Hochschulen es wünschen, prüft uni-assist auch weitere Kriterien, die für eine Studienbewerbung erfüllt sein müssen, zum Beispiel Sprachkenntnisse. Sind die Unterlagen vollständig und die formalen Studienvoraussetzungen erfüllt, leitet uni-assist die Bewerbung an die Hochschule weiter. Über die Zulassung für ein Studium entscheidet aber nicht uni-assist, sondern jede Hochschule selbst.

Voraussetzung ist die vorherige Teilnahme an TestAS, einem Eignungstest für internationale Studierende, die sich für ein grundständiges Studium an einer deutschen Hochschule bewerben. Er misst allgemeine und fächerbezogene Fähigkeiten, die für ein erfolgreiches Studieren wichtig sind. Während studieninteressierte Flüchtlinge durch den Test ihre eigenen Aussichten auf ein erfolgreiches Studium besser einschätzen können, bietet er Hochschulen einen einheitlichen Vergleich durch ein standardisiertes Testverfahren. Die Hochschulen entscheiden eigenständig, wie sie die TestAS-Ergebnisse für ihre Programme nutzen – etwa für den direkten Zugang zum Studium oder die Aufnahme in ein propädeutisches Angebot bzw. Studienkolleg oder Aufnahme in einen Sprachkurs.

DAAD, uni-assist und die Gesellschaft für Akademische Studienvorbereitung und Testentwicklung (g.a.s.t.) haben im Auftrag des BMBF die entsprechenden Maßnahmen für Flüchtlinge weiterentwickelt – zum Beispiel auch durch Übersetzung der Verfahren ins Arabische. Wie der Informationsbedarf der studieninteressierten Flüchtlinge steigt auch der Beratungsaufwand für die Hochschulen. Daher werden auch die Kapazitäten von uni-assist verstärkt. Gleichzeitig baut uni-assist ein Informations- und Anmeldeportal für Flüchtlinge auf.

Mehr Informationen über das gesamte Maßnahmenpaket zur Integration von Flüchtlingen an Hochschulen finden Sie hier: https://www.bmbf.de/de/fluechtlinge-durch-bildung-integrieren-1944.html

Mehr Informationen über Studienmöglichkeiten für Flüchtlinge: https://www.study-in.de/de/refugees/ und http://www.daad.de/fluechtlinge

Brandherd Nahost – Wie der Syrien-Krieg die Welt verändert

Seit mehr als fünf Jahren hält der Bürgerkrieg in Syrien die Welt in Atem. Was im Zuge des Arabischen Frühlings als friedlicher Protest begann, hat sich zum vielleicht kompliziertesten Konflikt der Gegenwart entwickelt – mit geschätzten 12 Millionen Flüchtlingen, 1,9 Millionen Verletzten und 470.000 Toten.

Wie konnte die Situation derart eskalieren? Wie wirkt sich der Syrien-Krieg gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich aus – auf den Nahen Osten, auf Europa und auf Deutschland? Und wie wird der Konflikt auf absehbare Zeit zu lösen sein?

Diese Fragen diskutieren Volker Schwenck, ARD Nahost-Korrespondent aus Kairo, Kai Küstner, ARD Korrespondent aus Brüssel und André Bank, Senior Research Fellow und Syrienexperte am GIGA, in der zweiten Ausgabe der vom Norddeutschen Rundfunk und dem GIGA veranstalteten Reihe „Grenzgänger – Auslandskorrespondenten treffen Wissenschaftler“. Durch den Abend führt Julia-Niharika Sen, Moderatorin des NDR Auslandsmagazins „Weltbilder“.

Die Anzahl der Plätze ist limitiert, bitte melden Sie sich rechtzeitig unter giga-ndr@04 an.

Es erfolgt eine Audio- und Videoaufzeichnung.

Konferenz „Climate Migration and Health“ – 10. Juni 2016, Berlin

Das Centre Virchow-Villermé für Public Health Paris-Berlin lädt Sie herzlich in die Französische Botschaft in Berlin zur Konferenz „Climate Migration and Health“ am Freitag, den 10. Juni 2016, ein.

Das Centre Virchow-Villermé für Public Health Paris-Berlin lädt Sie herzlich in die Französische Botschaft in Berlin zur Konferenz „Climate Migration and Health“ am Freitag, den 10. Juni 2016, ein.

Aktuell wird Migration hauptsächlich mit Flüchtlingen aus Kriegsgebieten in Verbindung gebracht, jedoch ist absehbar, dass auch der Klimawandel und die damit einhergehende Verschlechterung von Lebensbedingungen Migrationsbewegungen auslösen werden. In dieser Konferenz möchten wir die Auswirkungen dieser Entwicklung auf den Bereich der öffentlichen Gesundheit in den Fokus rücken. Dazu werden am Vormittag Wissenschaftler aus Deutschland und Frankreich aus den Bereichen Public Health, Klima und Demographie die Problematik umreißen und in einer Gesprächsrunde die Auswirkungen auf Public Health diskutieren. Am Nachmittag stehen Projekte und Erfahrungen aus der Praxis im Vordergrund. Eine Paneldiskussion mit Vertretern aus Wissenschaft und Politik wird die Veranstaltung abschließen. Den genauen Ablauf der Konferenz entnehmen Sie bitte beigefügtem Programm.

Datum: 10.06.2016,
Uhrzeit: 9:30 – 17:00 (Registrierung ab 08:45)
Ort: Französische Botschaft, Eingang Wilhelmstrasse 69, 10117 Berlin (Einlass nur nach Anmeldung und mit Ausweisdokument)

Anmeldung: kostenlose Teilnahme, bitte registrieren Sie sich online aufhttp://virchowvillerme.eu/de/event/conference-on-climate-migration-and-health/

Europäer mischten sich am Ende der Eiszeit mit Einwanderern aus dem Nahen Osten

Die einzige bis heute überlebende Menschenart, der anatomisch moderne Mensch, erreichte Europa erstmals vor rund 45.000 Jahren. Hier lebte er ununterbrochen bis heute – doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Das verraten die Gene. Eine groß angelegte genetische Studie an Überresten von 51 Menschen, die vor 45.000 bis 7.000 Jahren lebten, ergab eine Reihe von überraschenden Befunden aus der komplexen Urgeschichte der Europäer. So muss es am Ende der Eiszeit vor rund 14.500 Jahren eine Wanderungsbewegung von Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa gegeben haben, auf die bis vor kurzem jeglicher Hinweis fehlte. An der Studie war ein großes Forscherteam beteiligt, darunter eine Arbeitsgruppe von der Universität Tübingen unter der Leitung von Professor Johannes Krause, der auch Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena ist. Unter den untersuchten frühen Europäern waren sieben Individuen, deren Überreste aus Höhlen der Schwäbischen Alb stammen. Die Studienergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

„Das Klima hat immer wieder Einfluss auf das Überleben und die Wanderungsbewegungen der modernen Menschen genommen“, sagt Johannes Krause. In Europa lebten sie sogar während des letzten Kaltzeitmaximums vor 25.000 bis 19.000 Jahren, als große Teile des Kontinents von Eis bedeckt waren. Doch die Forscher wussten aus früheren Untersuchungen, dass das Überleben teilweise nur in einzelnen Refugien möglich war. Solche Zurückdrängung und Wiederausbreitung spiegelt sich in den Genen. Um mehr zu erfahren, analysierte das Forscherteam in der neuen Studie das gesamte Erbgut der 51 prähistorischen Menschen. „Solche umfassenden genomweiten Daten lagen bisher nur für einige wenige Menschen aus der Zeit von der ersten Besiedlung Europas bis zum Einsetzen der Landwirtschaft vor rund 8.500 Jahren vor“, erklärt Johannes Krause. Denn die Analyse alter DNA ist in mehrerer Hinsicht eine große Herausforderung. Zum einen ist das Erbgut aus Jahrtausende alten menschlichen Überresten stark zerfallen und muss aufwendig rekonstruiert werden, zum anderen ist es mit der DNA von Mikroorganismen und möglicherweise von heute lebenden Menschen verunreinigt. Nur mithilfe der in den letzten Jahren stark verbesserten Verfahren und bei sorgfältiger Zuordnung der Erbinformationen erhalten die Forscher belastbare Ergebnisse.

„Besonders überraschend war ein Befund, der die Urgeschichte revolutioniert: In der Warmzeit vor 14.500 Jahren erscheint eine neue genetische Komponente in Europa, deren Spur in den Nahen Osten führt“, sagt Cosimo Posth, der die schwäbischen Knochen im Rahmen seiner Doktorarbeit im Labor in Tübingen aufarbeitete. Die genetischen Neuerungen bei den Europäern hatten zuvor andere Wissenschaftler mit Bevölkerungsumwälzungen in Europa selbst erklärt. „Doch nun ist klar, dass Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa eingewandert sind und so bei der Vermischung ein neuer Genpool entstand.“

Weiterhin ergaben die Analysen, dass die frühesten modernen Menschen in Europa nicht substanziell zur Genausstattung heutiger Europäer beitrugen. Wie bereits eine frühere Studie anhand der Mitochondrien-DNA gezeigt hatte, stammen alle Individuen, die zwischen 37.000 und 14.000 Jahren alt sind, von einer einzelnen Gründerpopulation ab, die auch die Vorfahren heutiger Europäer bilden. „Wir sehen aber auch eine Kontinuität zwischen den ersten modernen Menschen Europas, die vor 40.000 bis 32.000 Jahren die wunderbare Kunst der Schwäbischen Alb geschaffen haben, und den Bewohnern West- und Zentraleuropas nach der Eiszeit, vor 18.000 bis 14.500 Jahren“, erklärt Krause. Zwischendurch habe sich eine Population hineingemischt, bekannt als Mammutjäger Osteuropas, die aber durch die Eiszeit vor 23.000 bis 19.000 Jahren zurückgedrängt worden sei. Das komplexe Bild der Genetik europäischer Menschen wollen die Forscher im nächsten Schritt mit ähnlichen Genomanalysen von urgeschichtlichen Menschen aus Südosteuropa und dem Nahen Osten weiter vervollständigen. Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen

Publikation:
Qiaomei Fu, Cosimo Posth, Mateja Hajdinjak, Martin Petr, Swapan Mallick, Daniel Fernandes, Anja Furtwängler, Wolfgang Haak, Matthias Meyer, Alissa Mittnik, Birgit Nickel, Alexander Peltzer, Nadin Rohland, Viviane Slon, Sahra Talamo, Iosif Lazaridis, Mark Lipson, Iain Mathieson, Stephan Schif-fels, Pontus Skoglund, Anatoly P. Derevianko, Nikolai Drozdov, Vyacheslav Slavinsky, Alexander Tsybankov, Renata Grifoni Cremonesi, Francesco Mallegni, Bernard Gély, Eligio Vacca, Manuel R. González Morales, Lawrence G. Straus, Christine Neugebauer-Maresch, Maria Teschler-Nicola, Silviu Constantin, Oana Teodora Moldovan, Stefano Benazzi, Marco Peresani, Donato Coppola, Martina Lari, Stefano Ricci, Annamaria Ronchitelli, Frédérique Valentin, Corinne Thevenet, Kurt Wehrberger, Dan Grigorescu, Hélène Rougier, Isabelle Crevecoeur, Damien Flas, Patrick Semal, Marcello A. Mannino, Christophe Cupillard, Hervé Bocherens, Nicholas J. Conard, Katerina Harvati, Vyacheslav Moiseyev, Dorothée G. Drucker, Jiří Svoboda, Michael P. Richards, David Caramelli, Ron Pinhasi, Janet Kelso, Nick Patterson, Johannes Krause, Svante Pääbo and David Reich: The genetic history of Ice Age Europe. Nature, DOI 10.1038/nature17993, Online-Veröffentlichung am 2. Mai 2016.