Antibiotikaresistenzen in der Wurst
21. Mai 2014 Hinterlasse einen Kommentar
Zwischen dem 28. April und dem 02. Mai 2014 wurden im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion in 13 deutschen Städten verschiedene Fleisch- und Wurstprodukte eingekauft und insgesamt 63 Proben in einem zertifizierten Labor auf ESBL (extended spectrum beta-lactamases) analysiert.
Von 63 Wurst- und Schinkenproben wurden auf 10 Produkten ESBL-bildende Bakterien nachgewiesen (16 Prozent). Bei den Wurstwaren sind besonders die Mettprodukte (Mettbrötchen, Zwiebelmett) auffällig. Hier haben wir in 22 Prozent der Proben ESBL-bildende Bakterien gefunden (8 Proben von insgesamt 36). Beim letzten Test im Dezember 2012 waren es noch 16 Prozent. Insgesamt waren bei dem Test Putenprodukte besonders auffällig. Bei 66 Prozent der Proben (6 von 9 Proben) haben wir ESBL-bildende Bakterien gefunden.
Was ist ESBL und wo kommen die Bakterien her?
Extended-spectrum beta-lactamases ist die Fähigkeit von Bakterien, spezielle Enzyme zu entwickeln, die bestimmte Antibiotika unwirksam machen. Dies ist besonders gefährlich, da die Fähigkeit zur Bildung dieser Enzyme von einer zur anderen Bakterie übertragen werden kann. Bakterien, die ESBL bilden, sind unter anderem gegen Penicilline aber auch Cephalosporine der dritten und vierten Generation resistent. Letztere werden als Reserveantibiotika eingesetzt.
Schätzungsweise 30.000 Menschen sterben jährlich in der Bundesrepublik, weil sie nicht mehr vollständig auf die Behandlung mit Antibiotika ansprechen. Die Übertragung von ESBL-bildenden Bakterien aus der Nutztierhaltung über Lebensmittel auf den Menschen verstärkt diese Problematik. Manche Experten warnen vor einer Rückkehr ins prä-antibiotische Zeitalter.
Im Fleisch- und Wurstwaren tauchen die Antibiotika-resistenten Bakterien auf, weil mittlerweile viele Tiere in den großen Mastställen damit infiziert sind. Ursache ist der massive und häufig unsachgemäße Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung.
Die Mastställe sind quasi ein riesiges Trainingsgebiet für Bakterien, um resistent gegen Antibiotika zu werden.
Verschiedene Studien aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark und Frankreich belegen eine stetige Resistenzzunahme in Nutztierbeständen. Eine Ursache ist der massive und häufig unsachgemäße Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung. In vielen Ställen gehören die ESBL-bildenden Bakterien mittlerweile zum festen Inventar und finden sich deshalb auch im Endprodukt wieder.
Wie gefährlich sind ESBL-bildenden Bakterien?
Das Bundesamt für Risikoforschung (BfR) sieht im Auftreten von ESBL-bildenden Bakterien in der Nutztierhaltung und in Lebensmitteln ein erhebliches Problem für den gesundheitlichen Verbraucherschutz. Auch wenn bislang wenig belastbare Daten darüber vorliegen, welche Rolle infizierte Lebensmittel beziehungsweise Tierbestände in der Landwirtschaft für die ESBL-Problematik beim Menschen spielen, belegen die vorliegenden Erkenntnisse laut Aussagen des BfR deutlich ein Gesundheitsrisiko für den Menschen.
Über den Konsum von mit ESBL-bildenden Bakterien belasteten Produkten können diese Bakterien auf den Menschen übertragen werden. Im Fall einer Erkrankung ist diese aufgrund der Resistenz gegen verschiedene Antibiotika schlechter zu behandeln.
Warum sind Putenprodukte am häufigsten betroffen?
In unserer Studie haben wir verschiedene Fleisch- und Wurstprodukte analysieren lassen, darunter auch Putenrohwurst, vor allem Putenzwiebelmettwurst verschiedener Hersteller. In 66 Prozent der Putenrohwurstproben wurden ESBL-bildende Bakterien gefunden (6 von 9 Proben). Obwohl die statistische Belastbarkeit nicht vollständig gegeben ist, ist das Ergebnis dieser Stichprobe alarmierend.
Putenfleisch ist bei den deutschen VerbraucherInnen sehr beliebt, jährlich werden pro Kopf etwa 6 kg konsumiert, der EU-Durchschnitt liegt bei 3,5 kg. Diese enorme Nachfrage hat zur Folge, dass möglichst viel Fleisch zu möglichst billigen Preisen produziert wird: Die Tiere wurden in der Vergangenheit so einseitig auf schnelles Wachstum und möglichst hohen Brustmuskelanteil gezüchtet, dass die heute verwendeten Hochleistungstiere nach wenigen Lebenswochen kaum mehr zu natürlichen Bewegungsabläufen fähig sind.
Die Enge in den Ställen ist so groß, dass die Tiere auf ihren Exkrementen sitzen und zum großen Teil an fortgeschrittenen Entzündungen der Sohlenhaut leiden. Mehrfacher Antibiotika-Einsatz über die Trunkwasserzufuhr ist die Regel. Damit sich die Tiere in der dichten Enge der Ställe nicht verletzen, wird den Küken bereits in der Brüterei der Oberschnabel gekürzt. Am Ende des kurzen Lebens werden die Vögel in Transportkäfige gedrängt und in hochindustrialisierten Schlachthöfen zu tausenden pro Stunde geschlachtet.
Dieses System der Tierhaltung ermöglicht Tiefstpreise von zum Teil unter 3,50 Euro pro 500g Brustfilet. Die Kosten für dieses Billigfleisch sind jedoch hoch: für die Tiere, für die Umwelt und für unsere Gesundheit.
Was ist zu tun?
Die Massentierhalten im jetzigen Ausmaß bietet nicht genügend Raum für wirkliche Verbesserungen. Der Antibiotika-Einsatz muss radikal reduziert, die Anwendung von Reserveantibiotika in der Tierhaltung muss unterbunden werde. Deshalb fordert die grüne Bundestagsfraktion:
Reduktion der Tierzahlen
Die Tierdichte in den Beständen und auch in bestimmten Regionen Deutschlands hat stark zugenommen, zudem ist Deutschland Tiertransport-Transitland. In den betroffenen Regionen ist inzwischen auch die maximale ökologische Belastbarkeit überschritten. Ohne eine Reduzierung der absoluten Tierzahl sowie auch der Tierdichten lässt sich diese Situation nicht wirksam verbessern.
Mehr Tierschutz in der Tierhaltung
Für die aktuellen Tierzahlen fehlt schlicht und einfach der Platz zur tiergerechten Haltung. Neben einer Absenkung der Tierzahlen brauchen wir eine grundlegende Reform der Haltungsbedingungen. Es müssen endlich jede Zucht wirksam verboten werden, bei der Krankheiten und Schmerzen vorprogrammiert sind, nur um die Leistung weiter zu steigern. Wir brauchen darüber hinaus verschärfte Haltungsverordnungen, die deutlich längere Mastzeiten, niedrigere Besatzdichten, mehr Platz und Auslauf verpflichtend vorschreiben. Dazu muss die Regierung einen klaren zeitlichen Rahmen vorgeben und Umbauten mit Fördermaßnahmen flankieren.
Externe Kosten nicht auf Allgemeinheit verteilen
Die massenhafte Produktion von Billigfleisch verursacht nicht nur Tierleid, sondern auch enorme Kosten. Gerade dort, wo Tiere in extremer Dichte gehalten werden, geschieht dies auf der Basis von permanentem Medikamenteneinsatz. Das rechnet sich betriebswirtschaftlich für die Fleischwirtschaft, ist aber volkswirtschaftlich schädlich, denn die hohen Folgekosten durch Umweltverschmutzung und Resistenzbelastung trägt alleine die Gesellschaft. Um die Sicherheit der Lebensmittel aufrecht zu erhalten, muss der Bundesgesetzgeber die Grundlage dafür schaffen, dass Fleisch und Wurstwaren für den rohen Verzehr routinemäßig auf ESBL-bildende Bakterien untersucht und bei Befall aus dem Verkehr gezogen werden.
Geflügelhaltung in der Sackgasse
Die industrielle Geflügelhaltung (Hähnchen und Puten) hat Ausmaße erreicht, die jegliche Legitimation überschreiten. Die Tiere sind so überzüchtet, dass der Bewegungsapparat das Gewicht nicht mehr tragen kann. Das unnatürliche Wachstum der Brustmuskulatur überfordert das Skelett. Ohne antibiotische Medikamentation ist die industrielle Putenhaltung nicht denkbar. In diesem Falle ist der Tatbestand der Qualzucht definitiv erfüllt und muss geahndet werden. Wie setzen uns dafür ein, mit den Akteuren, Natur- und Tierschutzverbänden und den politischen Entscheidungsträgern nach Wegen zu suchen, wie Puten und Masthähnchen tiergerecht und verantwortlich genutzt werden können. Die heutigen Systeme und Rassen sind dafür nicht geeignet. Quelle: BÜNDNIS 90 DIE GRÜNEN